In Kürze:
- langärmelig oder ärmellos
- ggf. Schlitz am Kragen
- Beinschlitze: entweder keine oder seitlich - ggf. auch vorne
- Verzierungen: Besatze oder Stickereien an den Säumen
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Achtung: jetzt kommt was lustiges. Im Netz (und auch sonst) tobt unter LH'lern ja gerne eine Diskussion, ob dies oder das authentisch ist oder nicht. Auch sehr gerne über Tuniken (z.B. ob der Schlitz vorne oder seitlich sein muss, ob Brettchenborte bei Frankendarstellung okay ist usw.). Ich habe dann aus Interesse mal in der Facebook-Gruppe "Historisch belegte Männerkleidung des Frühmittelalters" die Experten gefragt, wieviele Funde es denn überhaupt aus der Zeit 750 bis 850 aus Mitteleuropa gibt. Antwort: (nein, bitte erst selbst raten): Genau Null!!! Am nächsten kommt die Tunika (eher Ansammlung von Flicken) aus Bernuthsfeld (Verweis), die aber 100 Jahre vor dem genannten Zeitraum getragen wurde - aber immerhin in Mitteleuropa. Und das bei einer zugrundeliegenden Gesamtmenge von mehreren Millionen Tuniken, die über diesen Zeitraum von der Bevölkerung im Frankenreich (ca. 2 Millionen Menschen) getragen wurden. Statt Funden aus Mitteleuropa wird deshalb meist auf die Abbildungen z.B. im Stuttgarter Psalter oder auf Funde in benachbarten Regionen z.B. aus Skandinavien verwiesen. Aber auch hier reden wir von einer relativ geringen Anzahl von Abbildungen (im Vergleich zu den mehreren Millionen Tuniken, die damals hergestellt wurden), die zusätzlich auch noch von einer wirklich kleinen Zahl von Buchillustratoren gemalt wurden - bzw. von einer recht kleinen Anzahl von Funden. Das zeigt, wie viel man von diesem sehr großen Ensemble von Tuniken überhaupt weiß.
Durch Beschreibungen oder Abbildungen belegt sind scheinbar nur langärmelige Tuniken (und ich habe auch von ärmellosen gehört). Ich persönlich vermute aber, dass auch einzelne Franken ihre Ärmel gekürzt oder ausgerissen/weggelassen haben, wenn sie im Hochsommer luftigere Kleidung tragen wollten. Schließlich gab es keine Massenproduktion und keine Massenmedien,die Modetrends verbreiten. Oder mit den Worten aus [9], S. 6: "Befasst man sich mit dem Thema der Kleidung im Frühmittelalter, so ist grundsätzlich anzumerken, dass es sicherlich keine normierte Kleidung in Form von standardisierten Stereotypen gegeben hat, obwohl dies noch häufig in der Literatur zu finden ist." Insofern gehe ich von einer sehr großen Variation der tatsächlich genähten Tuniken aus - je nach Vorlieben und Fähigkeiten der Näherin sowie der verfügbaren Materialien. Tatsächlich scheinen die gefundenen Tunika-Fragmente (z.B. der Viborg-Knabentunika) bzw. zeigenössischen Darstellungen (z.B. im Stuttgarter Psalter) alle jeweils verschiedene Schnittmuster zu besitzen. Die Bandbreite war also sicherlich recht groß. Allerdings gibt es in jeder Gesellschaft kulturell bedingte "ungeschriebene Gesetze". Allerdings kann man im Nachhinein immer nur mutmaßen, wo die Individuen damals Gestaltungsspielraum hatten und was ein No-Go war (z.B. vor dem 1. Weltkrieg ein Minirock). [1] empfiehlt: "Therefore, following specific cuts is not the most appropriately chosen way of reconstructing tunics in the early middle ages.", sondern ein paar Grundregeln zu beachten (bzgl. Längen etc.) und ansonsten die Tunika so zu schneidern, dass der Materialverbrauch minimiert wird.
Nach den Schriftquellen und Abbildungen ist die Länge ca. bis zur Mitte der Oberschenkel oder eher noch bis zu den Knien. Die Tuniken waren entweder mit Keilen/Geren geweitet und ohne Schlitz, oder aber es sorgten Schlitze auf Höhe der Hüfte für Bewegungsfreiheit: am besten belegt ist dabei je ein Schlitz auf beiden Seiten. Allerdings ist aus praktischen Gründen nicht unwahrscheinlich, dass ein Reiter eher vorne in der Mitte der Tunika einen Schlitz hatte. Allerdings konstatiert [1], dass solche mittigen Schlitze erst gegen Ende des 10. Jahrunderts erschienen. Um mit dem Kopf durchzuschlüpfen, gab es häufig auch an der Kragenöffnung einen Schlitz – entweder vorne mittig oder auf einer Seite (siehe z.B. hier http://www.tribur.de/blog/2014/11/04/die-karolingische-tunika-iii-mehr-als-ein-schnitt/). Oder man machte einfach das Kopfloch weiter - so wie bei heutigen Pullovern.
Was es im Frühmittelalter aber noch nicht gab, sind Knopflöcher (https://de.wikipedia.org/wiki/Knopf). Es gab allerdings schon Knöpfe (oder Lederknebel), aber die wurden zum Schließen nur durch Schlaufen geknöpft, die an die Kleidung angenäht waren (noch Bild hochladen???).
Die Tuniken waren in unterschiedlichem Grad verziert: Alltagstuniken weniger, festliche mit Besatzen (Clavi) oder sogar Stickereien (siehe [Material]nacharbeiten???). Insbesondere Orbiculi (noch Bild hochladen???) waren als Verzierung angesagt, weil die Franken damit den bedruckten byzantinischen Seidenstoff an des Königs Tunika nachzuahmen versuchten - siehe http://www.tribur.de/blog/2014/10/07/die-karolingische-tunika-i-kreisverzierungen/.
Aber viel mehr und fundiertere Infos dazu gibt es hier: [Kleid1]nacharbeiten???
Das Vorhandensein von kurzärmeligen Tuniken für karolingische Franken wird allgemein bestritten. Allerdings verweist [1] darauf, dass in [2] kurze Ärmel beschrieben werden. Nur mal als Anregung zum Nachdenken möchte ich auf folgenden Artikel verweisen: https://de.wikipedia.org/wiki/Tunika: zum einen steht dort "anfangs ohne Ärmel. Später wurden kurze, nicht bis an die Ellbogen reichende, Ärmel üblich." und zum anderen ist das Bild einer koptischen Kurzarm-Tunika aus dem 7. Jahrhundert dargestellt. Ist zwar entweder falsche Epoche (Römer) oder falsche Region (Ägypten), aber es zeigt, dass Kurzarm-Tuniken nicht vollständig unrealistisch sind.
Dazu ein kurzes Zitat aus [1]: "The important thing to know is that basically every tunic is different in detail and no two tunics are perfectly identical, even when two tunics are found together. This means that the manufacturers did not strictly adhere to certain cuts, but followed other goals: trying to maintain a fashionable silhouette by using a cut during which there is no or minimal waste."
Ich selbst besitze eine kurzärmelige "bessere" Leinen-Tunika mit Besatzen, die selbstgeschneidert ist, aber trage auf Veranstaltungen nur langärmelige Tuniken, sowohl aus Leinen wie aus leichter Wolle wie aus schwerem Wollloden. Verziert sind diese mit Besatzen und teilweise auch Stickereien (von denen manche Orbiculi-artig aussehen).
Womit wir zum Material kommen: es gibt Belege sowohl für Wolle wie auch Leinen [3-7] und Flachs (für Obertuniken), wobei Wolle wahrscheinlich am häufigsten war. Allerdings verrotten Pflanzenfasern (Leinen / Hanf) scheinbar viel schneller - auch im Moor - als Wolle, was die Anzahl von möglichen Funden noch weiter reduziert. Meine persönliche Vermutung: die Garnart (Wolle oder Leinen oder Flachs) war damals nicht kulturell auf eine bestimmte Kleidungsart (Untertunika, Obertunika, Hose) festgelegt, stattdessen bestimmten Preis und Praktikabilität (Komfort, Verarbeitbarkeit), welches Garn für welche Kleidung verwendet wurde.
Wie oben bereits geschrieben kann man ohne explizite schriftliche Quellen und mit der sehr dünnen Fundlage aus dem Frühmittelalter von der Gegenwart aus ganz schwierig herausfinden, was früher kulturell akzeptiert war und was nicht. Wie wäre z.B. im Frühmittelalter jemand von seinen Zeitgenossen angesehen worden, der eine Kurzarmtunika trägt. Vielleicht hätten sie ihn verabscheut (wie ein Minirock im 19. Jahrhundert), oder sie hätten es einfach als außergewöhnlich aber nicht verwerflich angesehen (wie Crossdresser heutzutage), wir wissen es einfach nicht.
P wie Pragmatisch
Ich habe mir auch Leinentuniken in weiß von der Stange gekauft, ganz leicht gemoddet und dann selbst gefärbt. Um die Maschinennähte zu verdecken, hat meine Frau diese mit der Hand nachgenäht (geht trotzdem viel schneller als komplett selber nähen).
Infoquellen
- von Tribur: http://www.tribur.de/blog/?s=tunika
- [1] Tomáš Vlasatý: "Construction of early medieval tunics". Project Forlǫg - Reenactment and science. Online: https://sagy.vikingove.cz/en/construction-of-early-medieval-tunics/
- [2] Muthesius, Anna (1997). Byzantine Silk Weaving AD 400 to AD 1200, Vienna.
- [3] https://hiltibold.blogspot.com/2014/04/ottonische-untertunika-aus-gebleichtem.html?m=1
- [4] Die in [3] aufgeführten Klerikergräber aus St. Ulrich und Afra: https://www.ingolstadt.de/mobile/stadtmuseum/scheuerer/ausstell/ing06-89.htm
- [5] Beleg für leinerne Oberbekleidung: Grab der Bathilde von Chelles (https://das-grosse-heer.de/lexicon/entry/135-fr%C3%A4nkische-frauenkleidung/):
- ärmelloser, an den Seiten offener Überwurf aus Leinen mit aufwendiger Seidenstickerei (= Oberbekleidung)
- sogenannten "Grand Robe"(weitgeschnittenes Mantelkleid bzw. Kaftan mit zahlreichen eingesetzen Geren aus Leinen in Leinwandbindung)
- siehe auch https://www.heiligenlexikon.de/BiographienB/Bathilde.htm
- [6] Inga Hägg Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 20 – Die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu S. 95, Zitat (aus https://www.tribur.de/blog/202…selige-flokati/#fn5-33334): "Echte Felle dieses Typs befanden sich bekanntlich an entsprechenden Gewandstücken in den Gräbern von Birka, und zwar an Gewandstücken, die selbst bereits aus kostbaren Materialien, beispielsweise Leinen und Seide, hergestellt waren".
- [7] Auch hier https://schiffsmond.net/wikinger/KLEIDUNG/kittel.html wird von den Funden aus Birka, Haithabu und Oseberg geschrieben, dass Prunkkittel (also wohl Oberkleidung) aus Leinen gefunden wurden (leider ohne Quelle). Dort wird auch geschrieben, dass fast alle diese Prunkkittel gefärbt waren, was natürlich nicht ausdrücklich bedeutet, dass auch die leinenen gefärbt waren.
- [8] Ursula Koch, Das fränkische Gräberfeld von Herbolzheim, Kreis Heilbronn. Mit einem Exkurs von H.-J. Hundt, 2016. S. 473, Zitat: "An mehreren Beschlägen der Gürtelgarnitur haben sich Reste eines Rippenköpers aus Flachsgarn erhalten. ... Nur ein einziges Bruchstück von der Fundnummer 31 bezeugt das Vorhandensein eines weiteren Köperstoffes im Grabe. [Anm. von Marco: es werden hier mehrere Gräber zusammen besprochen] Es handelt sich hierbei um einen 2/1 Wollköper ... Die zahlreichen Reste von Rippenköper haben sich gleichfalls an Teilen der Gürtelgarnitur erhalten, hafteten aber z. T. auf der Oberseite der selben. Hiernach möchte man beim Rippenköper, der sonst in zahlreichen frühgeschichtlichen Gräbern zur unmittelbaren Bekleidung des Oberkörpers gehört zu haben scheint, an ein Gewandteil denken, das über den Leinenstoffen getragen wurde." Hier ist also das Leinen eine Unterbekleidung und der Flachs - aber nicht Wolle - die wahrscheinliche Oberbekleidung, obwohl Flachs ansonsten meist unmittelbar auf der Haut getragen wurde.
- [9] S. Walter, C. Peek, A. Gillich: "Kleidung im Frühen Mittelalter - Am liebsten schön bunt!", Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern e.V., Esslingen, 2008.
Bezugsquellen
Shops:
- Schöne Leinen-Tunika (kräftiger Stoff) von Rota Temporis. Die schneidern selbst die Tuniken und gehen gerne auch auf Sonderwünsche (Lang-, Kurzarm, andere Schlitzungen, mit/ohne Geren etc.) ein1. Wolltuniken stehen nicht auf ihrer Seite, aber wenn man ihnen Wollstoff zuschickt, dann schneidern die daraus auch relativ günstig eine schöne Tunika. Allerdings liefern sie nur die Tuniken ohne jegliche Verzierungen (z.B. Besatze).
- Karolingische Woll-Tunika von Marchand Médieval aus Frankreich: https://www.marchand-medieval.com/medieval/de/tunika-wikinger-angelsachsen-normannischer/62-karolingische-lothringische-tunika-woll.html
- Leinen-Tunika von Grimfrost (allerdings mit Geren): https://grimfrost.de/products/wiking-leinentunika-natur
- Schöne Leinen-Tunika mit Besatzen von Armstreet2. Achtung: die leuchtend-rote Farbe konnte man im Frühmittelalter noch nicht auf Leinen färben, deshalb besser die blaue Variante wählen
- Leinen-Tunika von Leonardo Carbone: https://www.leonardo-carbone.com/wikinger-leinentunika-ragnar-natur
- ⎗ Rota Temporis : https://www.rota-temporis.de/index.php/einfache-tunika-aus-leinen.html
- ⎗ Armstreet Schöne Tunika mit Besatzen : https://armstreet.de/shop/gewandung/wikinger-tunika-aus-sackleinen-bjoern-der-jaeger