Panzer

In Kürze:

Kettenhemd oder Schuppenpanzer - kein Plattenpanzer
Schuppenpanzer hatte in der Schlacht eine höhere Schutzwirkung
aber die Schuppen sind beim Tragen etwas störrisch

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Ein karolingischer Charakter kann natürlich auch einfache ungepanzerte Kleidung tragen – ggf. auch stärkeres Leder. Ein Panzer war vergleichsweise sehr teuer (laut Lex Ribuaria¹ zwölf Solidi - soviel wie zwölf Kühe - siehe auch die Infos zum Geldwesen).Insofern ist der durchschnittliche karolingische Krieger vermutlich ohne Panzer in die Schlacht gezogen, und Panzer waren den Wohlhabenderen bzw. den berufsmäßigen Kriegern vorbehalten ("Milites", z.B. die Scara).

Wenn Dein Charakter eine Rüstung tragen soll, dann hast Du die Wahl zwischen Kettenhemden, die es damals übrigens schon gab, und Schuppenpanzer.

Kettenhemd

Karolingische Kettenhemden haben kurze Ärmel bis zum Ellenbogen (aufpassen: sie sollten nicht rumschlabbern) und reichten auf den Oberschenkeln bis maximal zum Knie. Sie waren unten wohl ungeschlitzt oder anfangs seitlich geschlitzt waren und später vorne und hinten². Laut Tribur (s.u.) ist der Ring-Außendurchmesser irgendwo zwischen 6 und 11 mm mit Präferenz bei 6 bis 8 mm. Die Ringe sollten 4-in-1-geknüpft sein, wobei die vernieteten Ringe Runddraht sind (d.h. nicht flach) und die anderen (gestanzten) Ringe flach sind. Es gab scheinbar durchaus auch unvernietete Kettenhemden, aber (a) dürfte das die Ausnahme gewesen sein (weil die nix aushalten, von selbst Löcher entstehen und einem Pfeilschuss oder einen Stich kaum widerstanden hätten) und (b) macht es auch Euch aus genau denselben Gründen auf längere Sicht keinen Spaß. Es versteht sich von selbst, dass es damals weder Alu-, noch Edelstahl- oder verzinkte Stahlringe gab. Die Ränder können mit (z.B. 6 Reihen) Messingringen verziert sein. Netterweise hat der Händler IronSkin ein paar Tipps zusammengestellt; hier gibt's ein paar interessante Infos: https://www.ironskin.com/de/kettenhemd-kaufen/.

Schuppenpanzer

Bei Schuppenpanzern können die Schuppen auf Leder oder dickem Leinen mit Riemen festgebunden oder vernietet sein. Auch können benachbarte Schuppen miteinander verbunden sein. Eine Seite des Rumpfpanzers und/oder der Kragen ist offen und wird nach dem Anziehen mit Riemen verschlossen – sinnvollerweise ist dies die Seite unter Deinem Schildarm, da diese durch den Schild gut geschützt ist. Etwas hakelig kann es werden, wenn auch die Oberarme von Schuppen geschützt werden sollen, weil die Schuppen ja nicht flexibel sind, sich deshalb an Wölbungen gerne aufstellen und zusätzlich ineinander verhaken. Ich selbst habe aktuell noch keine Schuppen auf den Schultern und den Oberarmen, aber ich plane Oberarmschienen aus Leder, bei denen nur auf der Oberseite Schuppen aufgenietet sind. Auf der Unterseite befinden sich dann die Riemen, um die Oberarmschienen am Arm zu befestigen.

Das Problem mit den unflexiblen Schuppen gibt es auch auf den Schultern. Hier überlege ich zurzeit, ob ich mir dafür einen Kragen aus Leder mit kleineren Stahlplättchen (ggf. Lamellen oder runde Plättchen) baue. Dieses Bild geht in die Richtung.

Als Inspiration verweise ich auf diese Seite³ . Die Seite zeigt ein paar Überlegungen und Bilder von jemandem, der sich (für eine etwas spätere Epoche) selbst einen Schuppenpanzer gebaut hat und auch Schuppen verkauft. Kleiner Spaß am Rande: schaut Euch mal das Schwert auf dem zweiten Bild „in Saint-Jean-de-Fos“ an !

Alternative: an den flexibleren Stellen (Gelenke) Kettengeflecht an den Schuppen befestigen, z.B. gekauft von hier https://www.ironskin.com/team/.

Weiterer interessanter Link zur experimentellen Herstellung eines Schuppenpanzers: https://www.mittelalterforum.com/index.php/Thread/23154-Karolingischer-Schuppenpanzer-die-Zweite/

Gab es überhaupt Schuppenpanzer und wie verbreitet waren sie?

Funde von karolingischen Schuppenpanzern gibt es keine, und es gibt auch Diskussionen, dass die Abbildungen von Schuppenpanzern rein ikonisierend sind (auf antiken oder byzantinischen Vorbildern basierend sind, während zeitgenössisch keine Schuppenpanzer (mehr) getragen wurden) , siehe z.B. https://wiki.vikingsonline.org.uk/Scale_armour und https://www.tempus-vivit.net/taverne/thema/Karls-Franken-Von-der-Szene-vergessen (nach "Schuppe" suchen). Es wurden bisher nur wenige einzelne Schuppe gefunden, siehe z.B. den Post von "Panzerreiter" hier: https://www.mittelalterforum.com/index.php/Thread/25219-Beschusstest-eines-Karolingischen-Schuppenpanzers/. Allerdings listet auch Kapitel 5.1 von "Bewaffnung und Reiterausrüstung des 8. bis 10. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Waffenform und Waffenbeigaben bei den mährischen Slawen und in den Nachbarländern" Funde aus slawischen Gebieten auf, die möglicherweise Schuppen aus einem Panzer sind, siehe auch hier https://sagy.vikingove.cz/en/great-moravian-scale-armors/.

Allerdings wurden vor dem Fränkischen Reich im selben Gebiet Schuppenpanzer verwendet - nämlich die Lorica Squamata im römischen Heer, sie wurden gleichzeitig zum Fränkischen Reich in einem benachbarten (und häufig als Vorbild dienenden) Reich verwendet - nämlich in Byzanz (und ggf. auch bei den Angelsachsen http://thethegns.blogspot.com/2011/10/repton-warrior-saxon-scale-armour.html?m=1 und bei den Awaren), und nach dem Fränkischen Reich wiederum auf dessen ehemaligem Gebiet - z.B. die Grabplatte des Albricht von Hohenohe Möckmühl (https://www.diu-minnezit.de/realie_details.php?rid=7&lid=0&tid=3) oder das Bild eines Armbrustschützen in der Manessischen Handschrift, siehe Abbildung auf https://de.wikipedia.org/wiki/Schuppenpanzer. Es wäre also sehr seltsam, dass ausgerechnet im Fränkischen Reich keinerlei Schuppenpanzer genutzt worden wären.

Auch die Gelehrtenmeinungen gehen da auseinander: Simon Coupland⁴ ist in seinem sehr guten Artikel von 1990 kritisch bezüglich Schuppenpanzern, während Timothy Dawson sie als realistisch einschätzt (https://wiki.vikingsonline.org.uk/Scale_armour). Allerdings war Coupland der Berater des Illustrators im Osprey-Band "Viking Warrior vs Frankish Warrior: Francia 799–911" aus dem Jahr 2022, und da tragen alle fränkischen Krieger Schuppe. Vielleicht hat er ja seine Meinung zwischen 1990 und 2022 geändert?

Ein weiteres Argument: Wenn man sich die David-gegen-Goliath-Szene im Stuttgarter Psalter ansieht (siehe http://www.tribur.de/blog/2022/06/16/vergleich-der-david-u-goliath-szene-im-stuttgarter-psalter-und-seinen-byzantinischen-verwandten/), stellt man fest, dass Goliath in der byzantinischen Vorlage einen Muskelpanzer trägt. Bei der Übertragung in den karolingischen Psalter werden die ganze nicht-karolingische Ausrüstung (ich kann nicht beurteilen, ob diese byzantinisch oder was anderes ist) "karolingisiert": aus Speer wird Flügellanze, aus "flachem" Rundschild wird ein gewölbter Schld, aus dem Schwert der Vorlage wird ein karolingisches Schwert mit karolingischer Scheide, aus dem Helm wird ein karolingischer Spangenhelm. Aus dem Muskelpanzer wird ein anderer Typus Panzer. Also wäre es folgerichtig, dass der Panzer des Goliath ein karolingischer Ausrüstungsgegenstand war. Aber ist das denn wirklich ein Schuppenpanzer? Einige Kunsthistoriker interpretieren ihn nämlich als Kettenhemd. Allerdings sieht man bei genauerer Betrachtung, dass auf jedem Element des Panzers ein kleiner länglicher Strich vorhanden ist. Dies ist vermutlich der Versuch, die Wölbung der Schuppe bzw. den Lichtreflex darauf darzustellen. Bei Ringen müsste es dagegen was rundes sein (das Loch). Für mich sieht die Rüstung deshalb nach Schuppenpanzer aus, und ergo trugen auch Karolinger Schuppenpanzer.

Ich weiß, dass das ganze eine nie enden wollende Diskussion ist und viele Leute äußerst skeptisch bezüglich Schuppenpanzer sind. Allerdings gibt es auch Aussagen pro Schuppenpanzer auf wissenschaftlichen Konferenzen wie die Miloš Bernart in Abschnitt 5 von https://mikulcice.arub.cz/wp-content/uploads/2016/06/01-Bernart-Str%C3%A1nky-z-Kniha_ITM_9_final10092019-3.pdf, der auch potentielle Schuppenfunde benennt. Scheinbar steht auch in einem Capitulare von Karl dG, dass man zur Herstellung der Rüstung Eisen und Leder benötigt, was auch eher für eine Schuppenrüstung als für ein Kettenhemd sprechen würde (leider kann ich das nicht selbst verifizieren, aber ich wäre hier für jeden Hinweis dankbar). Und es gibt auch einige Leute, die sich wirklich auskennen und sich lange mit dem Thema beschäftigt haben, die pro Schuppenpanzer sind. Insofern gehe ich davon aus, dass man ohne schlechtes Gewissen einen Schuppenpanzer tragen kann. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der Rüstungen aus Ringbrünnen, d.h. Kettenhemden bestand (und die allermeisten Krieger gar keine metallenen Panzer besaßen).

Die Tatsache, dass bisher keine Schuppenpanzer bzw. keine oder wenige einzelne Schuppen gefunden worden sind, ist übrigens statistisch gesehen keinerlei Beweis, dass es keine gab - siehe mein Paper.

Schutzwirkung

Es gibt ein Video mit Experimenten, die zeigen, wie gut so ein Schuppenpanzer war. Bei Schussversuchen mit Pfeilen hielt ein Schuppenpanzer den Pfeil ab und erhielt nur eine verbogene Schuppe (https://www.mittelalterforum.com/index.php/Thread/25219-Beschusstest-eines-Karolingischen-Schuppenpanzers/), während die Pfeilspitze bei einem Kettenhemd (sogar bei einem vernieteten) zu tödlichen Verletzungen geführt hätte. Ich finde leider die Quelle dazu nicht mehr, aber dafür macht folgende Quelle⁵ ähnliche Aussagen: von vier betrachteten Pfeilspitztypen wären bei einem Kettenhemd alle 4 tödlich gewesen, aber bei einem Schuppenpanzer würde nur eine Nadel-Bodkin-Spitze zu möglicherweise tödlichen Verletzungen führen. Auch eine Plattenrüstung zeigte bei diesen Versuchen keinen besseren Schutz.

Auch bei Wuchtattacken (d.h. schwere Waffen wie Äxte) hat ein Schuppenpanzer prinzipiell eine bessere Schutzwirkung. Dafür ist er viel weniger flexibel und behindert daher den Träger mehr - besonders am Übergang von Schultern zu den Armen. Dadurch kann man mit reinen Schuppen den Körper insgesamt weniger gut abdecken. Obwohl der Schuppenpanzer scheinbar billiger in der Herstellung war (https://de.wikipedia.org/wiki/Schuppenpanzer), setzte sich deshalb das Kettenhemd mehr durch.

Ich fand bei meinen Recherchen übrigens keinen Konsenz darüber, welcher von beiden - Schuppenpanzer oder Kettenhemd - (a) leichter ist (bei gleicher Körperabdeckung), (b) günstiger herzustellen ist, und (c) günstiger zu reparieren ist.